Als ich zum ersten Mal mit meinen Eltern von meinem Kinderwunsch sprach, hat mein Vater anders reagiert als erwartet. „Überleg Dir das lieber nochmal“, mahnte er im bedrohlichen Ton. „Danach ist nichts mehr wie davor.“ Keine Spur von romantischen Vorstellungen über die Familiengründung, von den Glücksgefühlen, von verliebten Großeltern …

Wahrscheinlich liegt es daran, dass sich mein Vater noch an alles erinnern kann – anders als es bei vielen Frauen, bei denen sich der gnädige Hormon-Schleier über die Erinnerungen legt. Die Doppelbelastung durch Arbeit und Familie, seine kreischenden Töchter, die nicht in den Kindergarten wollen, schlaflose Nächte – das hat Spuren hinterlassen.

Ich höre meistens auf den Rat meines Vaters. Doch dieses Mal nicht. Der Wunsch nach einem Kind war auf einmal da und mächtiger und tiefer als alles, was ich davor kannte.

Erst etwa ein halbes Jahr nach der Geburt meines Sohnes, als sich das Chaos gelegt hatte und mein Gehirn vom Automatikmodus wieder in den Normalzustand schaltete, verstand ich, was er meinte. Ich bin erwachsen geworden. Und das ziemlich plötzlich.

Zum ersten Mal so richtig bewusst wurde mir das, als ich hinter meinem Sohn mit einem Löffel Hirsebrei durch den Garten krabbelte und überlegte, wie ich die eisenhaltige Nahrung, in das Kind reinbekomme – und zwar am besten so, dass er es für ein superlustiges Spiel hält. Denn er HASST Brei und alles was er nicht selbst essen kann.

Auf einmal schaute ich von oben auf mich herab und fragte mich: „Was zum Teufel machst Du da eigentlich? Sollte es nicht eine Möglichkeit geben, das hier erwachsener zu regeln?“

Aber was heißt erwachsen? Streng? Konsequent? Was für ein Erwachsener, was für eine Mama will ich sein?! BÄÄM. Da war sie, die Erkenntnis. Ich bin erwachsen. Ich bin eine Mutter und nicht mehr nur für mich selbst verantwortlich. Wenn ich schlecht zu mir selbst bin, dann ist das meine Entscheidung. Aber jetzt liegt es an mir, dass dieser kleine Mensch glücklich und gesund groß wird. Auf einmal spürte ich die Verantwortung auf meinen Schultern. Das Gewicht, die Bedeutung, schwer aber erstaunlicherweise nicht drückend oder beängstigend. 

Auch in den nächsten Tagen hinterfragte ich mich immer wieder und lernte mich dadurch besser kennen. Was will ich meinem Sohn eigentlich vermitteln, was soll er lernen im Leben? Was ist mir wichtig?

Kinder zu bekommen, ist eine wunderbare Gelegenheit, zu sich selbst zu finden. Denn eines ist klar: Nur wenn man weiß was man will, kann man seinem Kind souverän gegenübertreten.

Tatsächlich änderte ich meine Haltung gegenüber dem Nachmittagsbrei. Ich will bestimmt keine Mutter sein, die ihr Kind zum Essen zwingt! Das war mir auf einmal ganz klar. Seitdem versuche ich weniger Stress in die ganze Sache zu stecken („dann isst er halt heute weniger, egal.“) Außerdem habe ich einen Vorrat an Hirsekringeln, die er gerne isst, weil er sie ALLEINE halten kann. Tatsächlich sieht es so aus, als habe der kleine Dickkopf jetzt generell wieder mehr Appetit. Zufall? Keine Ahnung. Aber ich glaube wir beide fühlen uns besser und haben unsere Würde behalten.

Auf der Suche nach mir selbst begegne ich nun immer wieder meiner eigenen Kindheit. Ich erinnere mich daran, wie die Baumkronen hüpfen, wenn man ganz hoch schaukelt, an das kribbelige Gefühl vor Weihnachten und daran, wie schön es ist, die Hände in den Kuchenteig zu stecken.

Das alles nochmal zu erleben ist ein Geschenk. Mutter zu sein ist wunderschön – und Erwachsensein ist gar nicht so erwachsen, wie ich dachte.  

Dass das Leben aber seit der Geburt meines Sohnes super anstrengend ist – keine Frage. Dass ich manchmal wütend und ungerecht werde und alle Prinzipien über den Haufen werfe – passiert, gerade wenn ich malwieder unter akutem Schlafmangel leide.

In einem Buch des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul las ich einmal diesen Satz: „Die Vorstellung von perfekten Eltern ist absurd. Die besten Eltern, die ein Kind haben kann, sind diejenigen, die Verantwortung für ihre Fehler übernehmen, wenn sie ihnen bewusst werden.“

Jaha, Papa, ich weiß was Du mir sagen wolltest. Alles ist anders. Kein Partyurlaub mit Freunden auf dem Campingplatz, keine weingetränkten langen Sommerabende auf der Terrasse. Sorgen, wenn das Kind fiebert, Sorgen, wenn es laufen lernt und dauernd hinfällt und Sorgen, was da wohl noch alles kommen mag.

Trotzdem: Recht hatte mein Vater dieses Mal nicht. Denn all die romantischen Vorstellungen vom Babyglück sind dennoch wahrgeworden (übrigens auch das mit den total verliebten Großeltern). Aber ich musste meine eigenen Erfahrungen machen. Das gehört eben auch zum Erwachsenwerden dazu.

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